Ein wichtiger Aspekt des agilen Arbeiten ist der Prozess zur transparenten Entscheidungsfindung. Bei komplexen Fragestellungen sollte keine Entscheidung mehr alleine – ohne die Auseinandersetzung mit verschiedenen Perspektiven – von „oben“ getroffen werden. Es wird die Idee verfolgt, dass diejenigen, die die meisten Details kennen bzw. näher am Problem sind, die besseren Entscheidungen treffen können. Transparente Entscheidungsfindung: Ziel ist es, gemeinsam getragene Entscheidungen zu ermöglichen und operative Entscheidungen ins Team zu verlagern. Wie kann nun ein Team zu guten Entscheidungen kommen? Welche Methoden und Werkzeuge gibt es für diesen Prozess?
Methoden für die transparente Entscheidungsfindung im Team
Generell gibt es mehrere Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung:
- autokratisch: ich bestimme alleine
- mehrheitsdemokratisch: die Mehrheit bestimmt
- konsensual: alle sind sich einig
- soziokratisch (=konsent): keiner hat einen schwerwiegenden Einwand
Merke:
– Konsens: Alle sagen ja
– Konsent: Keiner sagt nein
Nachfolgend gehe ich auf die verschiedenen Möglichkeiten mit ihren Unterschieden sowie ihre jeweiligen Vor- und Nachteile ein. Danach stelle ich mehrere Werkzeuge vor, die den Prozess der transparenten Entscheidungsfindung unterstützen.
Basisdemokratische Entscheidung: Die einfachste Art der Abstimmung
Bei sehr einfachen Entscheidungen in kleinen und großen Gruppen ist die basisdemokratische Entscheidung eine schnelle und unkomplizierte Methode. Die einfachste Umsetzung kann per Handabstimmung erfolgen oder bei komplexeren Fragestellung mit farbigen Moderationspunkten gearbeitet werden.. Das Ergebnis ist die genaue Verteilung der Ja/Nein-Haltung im Team. Dies kann die Basis sein, um bei Bedenken oder Fragen das Ergebnis noch einmal aufgreifen oder zu vertiefen. Eine Alternative, die allerdings auch mehr Zeit beansprucht, ist das systemische Konsensieren.
Diskurs: Das beste Argument entscheidet
Ein Diskurs eignet sich bei komplexen Themen und noch überschaubarer Gruppengröße. Nach der Vorstellung des zu lösenden Problem vorab, soll in einem Diskurs jeder Teilnehmende die gleichen Chancen zur sachlichen Diskussion haben. Deshalb darf der argumentative Austausch nicht von Macht und Hierarchien geprägt sein. Ziel ist es, dass sich am Ende das bessere Argument durchsetzt. So ist zwar noch kein Konsens möglich, kann aber eine Vorbereitung für einen Konsent sein.
Tipp: Manchmal braucht es hier aber auch erst einen Austausch mit Dialog und ggf. das Anliegen, erst mal nichts entscheiden zu müssen. Hier geht es in erster Linie darum die Perspektive der anderen durch Zuhören zu verstehen. Zuhören heißt u.a. nicht zu bewerten. Der Dialog sollte daher angeregt werden, wenn zuerst Dinge und Zusammenhänge verstanden werden müssen und der Schwerpunkt auf dem Austausch und noch nicht auf der Entscheidung liegt.
Mehrheitsentscheidung: Mehrheitsentscheidung
Der Mehrheitsentscheid ist wohl die bekannteste Methode bei der Entscheidungsfindung. So wird durch die Mehrheit die Richtung in einer mehr oder weniger formalisierten Abstimmung vorgegeben. Es gewinnt die Position, hinter der die Mehrheit des Teams steht. Vorteil ist, dass es schnell geht. Auf der anderes Seite könnte sich Minderheiten übergangen fühlen und in weiterer Folge die Entscheidung nicht mittragen. Es kann daher zu einer hohen Unzufriedenheit kommen. Daher sollte der Mehrheitsentscheid nicht immer die erste Wahl sein. Im Falle, dass ein Konsens schwer möglich ist, kann jedoch der Einsatz sinnvoll sein sein, da der Mehrheitsbescheid in der Regel zu einer Entscheidung führt.
Konsensentscheidung; Einladung zum Reden bis Einigkeit entsteht
Einladung zum Reden bis Einigkeit entsteht. Beim Konsens wird in der Regel so lange diskutiert, bis alle Beteiligten einem Vorschlag aktiv zustimmen.
Diese Art der Entscheidungsfindung geht besonders bei unstrittigen Themen ziemlich schnell. Die Konsensentscheidung eignet sich insbesondere bei Situationen, in denen die Positionen im Team nicht zu weit voneinander entfernt sind und Teammitglieder sich gegenseitig gut zuhören (wollen). Ziel ist es, durch eine Debatte eine gemeinsame Position zu finden bis hin zum kleinesten gemeinsamen Nenner . Dabei rückt jeder von seiner Position ab und einigt sich auf eine Lösung, die für zwar nicht optimal, aber annehmbar ist. Dieses „Win-Win“ ist eine Variante des Konsens bei der jeder auf seine Art und Weise am Ende „zufrieden“ ist. Das muss nicht immer die beste Lösung sein. Auf der anderen Seite findet die Entscheidung eine höhere Zustimmung von allen.
Systemisches Konsensieren: Entscheidungfindung mit Rücksicht auf Widerstände und Gefühle
Das systemische Konsensieren ist sehr nah am Konsens und hat die Widerstandsmessung in der Gruppe zum Ziel. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie sehr (auf einer Skala bzw. durch Punktevergabe) ist jemand gegen etwas. Eine neutrale Haltung ist ebenfalls möglich. In diesem Prozess steht mehr die schnelle Abfrage der Emotionen des Einzelnen zu einem Thema als der Austausch von Argumenten wie beim Konsent im Vordergrund. Ziel ist es am Ende Lösungen für einfache Entscheidungen zu finden, die möglichst wenig Wiederstand bei den Teilnehmenden erzeugen. Wenn es jedoch darum geht, ein Thema tiefergehender zu betrachtet ist die Entscheidungsfindung durch Konsent vorzuziehen.
Konsententscheidung: Konsent ist keine Form der Zustimmung, sondern eine Art, etwas nicht abzulehnen.
Das erste Basisprinzip in der Soziokratie ist das Konsentprinzip.
- Es gibt keine schwerwiegenden und begründeten Einwände gegen einen Lösungsvorschlag im Sinne der bekannten Ziele.
- Gibt es trotz erneuter Meinungsrunde, weiterhin einen schwerwiegenden, begründeten Einwand, kann der Lösungsvorschlag zu dem Zeitpunkt noch nicht beschlossen werden. Die Entscheidung wird vertagt oder an die nächst höhere Ebene delegiert.
- Bei Bedarf kann im Konsent auch eine andere Art der Beschlussfassung wie die Mehrheitsentscheidung oder das systemischen Konsensieren etc. herangezogen werden.
Unter Verwendung der zusätzlichen Prinzipien (Kreisprinzip, doppelte Kopplung und offene Wahl) entsteht eine Struktur für ein soziokratisches Gespräch. Nachdem ein Vorschlag dem Kreis präsentiert wurde und das Ziel des Kreises klar ist, stehen folgende 4 Rederunden zur Verfügung. Auf Basis der Wortmeldung kann der Vorschlag entsprechend für alle transparent angepasst werden.
- Informations- oder bildformende Runde: Hast du eine Frage zum vorliegenden Vorschlag? Welche Informationen brauchst du noch, um dir eine Meinung bilden zu können?
- Erste meinungsbildende Runde: Wie geht es dir mit diesem Vorschlag? Was hältst du davon? Was ist deine Meinung zu diesem Lösungsvorschlag?
- Zweite meinungsbildende Runde: Wie geht es dir mit dem Gehörten? Hat sich bei dir dadurch etwas verändert? Hast du Ideen für eine mögliche Lösung?
- Konsent-Runde: Hast du einen schwerwiegenden Einwand gegen den neuen Vorschlag? Kann mit diesem Vorschlag das Ziel des Kreises erreicht werden?
Eine sehr schnelle und visuelle Rückmeldung in der Konsent-Runde kann hierzu anhand des eigenen Körpers beispielsweise wie folgt erfolgen:
- geschlossene Hand mit Daumen nach oben bedeutet: alles okay.
- Ausgestreckte wackelnde offen Hand: Ich habe leichte Bedenken, die aber unschädlich für die Annahme des Vorschlags sind.
- verschränkte Arne vor der Brust: Ich habe gravierende Bedenken und konkrete Hinweise auf einen bedrohlichen Schaden.
Sobald es keine schwerwiegenden Einwände mehr gibt, gilt die Entscheidung als angenommen (Konsent-Entscheid). Ein Vorschlag kann beispielsweise auch unter dem Motto „Good enough for now, safe enough to try“ akzeptiert werden und den Konsent-Entscheid nur mal einen Monat lang ausprobieren und dann erneut zur Diskussion stellen. Der Vorteil bei dieser Vorgehensweise ist, dass jeder gehört wurde und im besten Fall auch ein besserer Vorschlag durch die verschiedene Perspektiven und ggf. Experimente entstanden ist. Insbesondere bei sehr großen Gruppen ist das eine sehr gute Möglichkeit die jeweiligen Stärken und Perspektiven der Einzelnen mit einer größeren Akzeptanz von Entscheidungen in der Gruppe zu kombinieren.
Veto: Das Recht zur Not etwas dagegen haben dürfen
Ein Vetorecht bedeutet, dass jemand (i. d. R. die Führungskraft) im Zweifel einen Einspruch innerhalb eines formal definierten Rahmens gegen eine Entscheidung erheben kann. Das Einführen eines Vetrorechts macht insbesondere bei komplexen Entscheidungen mit gravierende Auswirkungen sinn oder wenn das Vertrauen in das Team für die Entscheidung noch nicht vorhanden ist. Es stellt somit einen Notausgang dar und sollte eher sparsam verwendet werden oder alternativ eine Entscheidung mittels Konsent herbeigeführt werden.
Konsultativer Einzelentscheid
Der konsultative Einzelentscheid kombiniert das Wissen des Teams mit der Kompetenz des Einzelnen. Insbesondere bei selbst organisierten Teams findet dieser Weg häufig Anwendung und hat seinen Ursprung im Lean-Bereich. Dabei darf entweder ein ausgewähltes Teammitglied oder eine Kleingruppe entscheiden, mit der Bedingung sich Meinung bzw. Expertise oder auch Beratung von zuvor definierten sachkundigen Personen einzuholen. Damit werden langwierige Abstimmungsrunden minimiert und die Handlungssicherheit verbessert.
Unterstützende Werkzeuge für eine transparente Entscheidungsfindung
An dieser Stelle gibt es die verschiedene Werkzeuge, die eine schnelle und transparente Entscheidungsfindung unterstützen können.
Delegation Board und die 7 Stufen der Delegation
Zur Darstellung für welches Thema welche Entscheidungsmöglichkeit festgelegt wird bietet sich das Delegation Board an. Es ist eine Matrix, mit deren Hilfe ersichtlich wird, welches Thema von welchen Teammitglieder bzw. Führungskraft mit welcher Delegationsstufe ausgehandelt wurde:
- 1 = Verkünden: Die Führungskraft teilt dem Team lediglich die Entscheidung mit.
- 2 = Verkaufen: Die Führungskraft entscheidet, versucht aber das Team von der Richtigkeit der Entscheidung zu überzeugen.
- 3 = Befragen: Die Führungskraft holt sich vor ihrer Entscheidung Rat.
- 4 = Einigen: Das Team und die Führungskraft versuchen gemeinsam einen Konsens zu finden.
- 5 = Beraten: Die Führungskraft berät das Team, das Team entscheidet.
- 6 = Erkundigen: Team entscheidet selber, die Führungskraft fragt nur noch nach dem Ergebnis
- 7 = Delegieren: Team entscheidet komplett autonom.
Den Delegationsstufen können die vorgestellten Entscheidungsfindungsmethoden zugeordnet werden:
- Stufen 1-2: autokratisch
- Stufe 3 und 5: konsultativen Einzelbescheid
- Stufe 4: Konsensentscheidung bzw. dem systemischen Konsensieren
- Stufe 6-7: Konsententscheidung
Die transparente Entscheidungsfindung erfolgt mittels Delegation Poker. Der Dialog bzw. der intensive Gedankenaustausch zwischen den Beteiligten ermöglicht durch den spielerischen Ansatz eine Diskussion auf Augenhöhe und ist die Basis für den Weg zur Selbstorganisation.
Elfer-Skala
Mit Hilfe der Elfer-Skala kann eine zügige Entscheidungsfindung mit gemeinsam getragenen Entscheidungen im Team ohne ausufernde Diskussionen sichergestellt werden. Durch die Skalierungsmethode kann ein gefühlter Zustand wie beim systemischen Konsensieren visuell deutlich gemacht werden, ohne dass man ihn lang und breit erklären muss. Statt eines kategorischen Ja oder Nein werden Grauzonen optisch sichtbar.
- Zu Beginn wird das Thema vorgestellt und Verständnisfragen geklärt.
- Danach bewertet jeder Teilnehmer verdeckt das Thema mit Hilfe einer Skala von 0-10 ( 0 = auf gar keinen Fall bis 10 = unbedingt) auf Basis einer Frage wie beispielsweise „Wie wichtig und dringlich ist dieses Thema für das Projekt/ unser Unternehmen?“ oder Sollen wir … so umsetzen?
- Nach der verdeckten Bewertung werden stellvertretend je zwei Meinungen aus dem niedrigen (0 bis 3) und dem hohen Bewertungsbereich (7 bis 10) genauer betrachtet.
- Anschließend bekommt jeder eine Minute Zeit, um über das Gehörte Nachzudenken.
- Die zweite Bewertungsrunde wird analog zur vorherigen auf einer neuen Skala durchgeführt.
- Liegen nun alle Bewertungen zwischen sieben und zehn, gilt das Thema als angenommen. Damit ist eine Entscheidung gefallen. Liegen Bewertungen noch immer darunter, kann eine entsprechende Konsent-Entscheidung der nächste Schritt sein.
Fist of Five
Mit Hilfe der Anzahl der gezeigten Finger kann insbesondere bei größeren Gruppe schnell und einfach ein Konsent erzeugt werden.
Wie bisher wird ein Lösungsvorschlag für alle transparent vorgestellt und die einzelnen Möglichkeiten zur Abstimmung mit der Hand vorgestellt. Anschließend heben alle gleichzeitig ihre Hand mit 1 – 5 ausgestreckten Fingern und signalisieren damit ihre Haltung zum Vorschlag:
- 5 Finger: Ich finde den Vorschlag hervorragend und bin voll dabei
- 4 Finger: Ich finde den Vorschlag mit kleinen Einschränkungen ok und unterstütze ihn
- 3 Finger: Ich bin nicht begeistert, habe Einwände, trage den Vorschlag aber mit, damit wir weiter kommen.
- 2 Finger: Ich bin gar nicht einverstanden, möchte mit meinen Einwänden aber die Entscheidung nicht blockieren
- 1 Finger: Ich kann nicht mitgehen und möchte die Entscheidung blockieren, solange meine Einwände existieren.
- 0 Finger: Veto, ich möchte Einspruch einlegen und einen komplett neuen Vorschlag einbringen (optional)
Gemeinsam werden die einzelnen Begründungen von denjenigen, die weniger als 3 Finger angezeigt haben, angehört. Auf Basis deren Rückmeldungen wird der Lösungsvorschlag inhaltlich angepasst, bis die Einwände entfallen oder schwächer werden.
ELMO
Um jedem Teilnehmenden eine Möglichkeit für eine schnellen Rückmeldung zum Prozess zu geben, insbesondere dann wenn eine Diskussion ins Leere läuft, kann auf das ELMO zurückgegriffen werden. Das Akronym ELMO steht für „Enough, Let’s Move On“ oder auf deutsch „Genug, lass uns weitermachen„. So kann vermieden werden, dass unnötig die Zeit der Gruppe für eine Endlos Diskussion verbraten wird. Es macht jedoch sinn vorab Regeln festzulegen, wie oft jeder die ELMO Karte ziehen darf oder ob es mehrere ELMO Karten gleichzeitig braucht.
Lightning Decision Jam
Decision Jam ist eine Entscheidungsmethode, die von der Agentur AJ&Smart entwickelt wurde. Sie bedient sich der Design Sprint Prinzipien auf genialen Art und Weise. Ziel ist es, Entscheidungen ohne ausufernde Diskussionen in 45 Minuten mit minimaler Moderation zu treffen.
- (1) Probleme: Welche Herausforderungen haben wir? (~7 Minuten)
- (2) Vorstellung: Jeder Teilnehmer liest die Herausforderungen vor. Dubletten werden übereinander geklebt (~5 Minuten)
- (3) Abstimmung: Jeder Teilnehmer erhält 5 Punkte zum Abstimmen (~5 Minuten)
- (4) Format: Im Team werden die Top 3 Probleme als HMWs (Wie können wir) standardisiert (~6 Minuten)
- (5) Lösungen: Jeder Teilnehmer erstellt so viele Lösungen wie möglich (~7 Minuten)
- (6) Abstimmung: Jeder Teilnehmer erhält 5 Punkte zum abstimmen (~5 Minuten)
- (7) Aufwand/Ertrag: Im Team werden die Lösungen auf eine Aufwand/Ertrag-Skala kategorisiert (~5 Minuten)
- (8) Experiment: Im Team wird ein Experiment für die Lösung mit mit dem höchsten Ertrag und minimalsten Aufwand definiert (~5 Minuten)
Eine ausführliche Beschreibung ist hier zu finden.
Liebe Claudia,
sehr erhellender Inhalt und eine tolle Übersicht zum Thema. Vielen Dank fürs Zusammentragen!
Liebe Grüße Philipp